Der Weg zum Eishockeyprofi

Tim Theiler, Lukas Salvisberg

Als Nachwuchsspieler beim grossen SC Bern den Sprung zum Profi machen. Colin Gerber hat erreicht, wovon viele Jugendliche träumen. Heute spielt er gegen die ganz Grossen aus der NHL.

Anpfiff in der PostFinance Arena in Bern. Im Rahmen der NHL Global Series Challenge spielt der SCB vor vollen Rängen gegen die Nashville Predators aus der NHL. Zwei Gymnasiasten sind auch dabei, denn so ein Spiel bekommt man in Bern nicht oft zu sehen. Die Atmosphäre im Stadion könnte nicht besser sein. Die Zuschauer freuen sich, Roman Josi und Nino Niederreiter aus der NHL hautnah spielen zu sehen. Viele von ihnen tragen Eishockeytrikots nicht nur vom SCB, sondern auch von verschiedenen NHL Clubs. Die Trikots von Josi und Niederreiter sind besonders oft vertreten.

Volle Stehplätze in der PostFinance Arena (Foto: 20 Minuten)
Volle Stehplätze in der PostFinance Arena (Foto: 20 Minuten)

Colin Gerber auf dem Weg zum Profi

Die Spieler des SC Bern und der Nashville Predators werden unter tosendem Applaus im Stadion empfangen. Mitten im Rampenlicht die beiden Schweizer Eishockeystars Roman Josi und Nino Niederreiter. Auf der Seite des SCB sticht ein energiegeladener «Hockeyaner» heraus. Es ist Colin Gerber mit der Nummer 14 auf dem Rücken. Für ihn scheint der heutige Auftritt Routine zu sein, doch das ist nicht schon immer so gewesen. Einst ist so ein Auftritt für den Profispieler bloss ein Kindheitstraum gewesen. Seine Hockeykarriere hat in seiner Heimatstadt Burgdorf begonnen. Für einen Jungen aus Burgdorf ist der SCB der grosse Club. Deshalb ist für Colin ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen, als er mit siebzehn zum ersten Mal mit der ersten Mannschaft des SCB ein NLA-Spiel bestreiten konnte. «Ich wusste, wenn ich jeden Tag so hart wie möglich trainiere und diszipliniert meine Ziele verfolge, dann werde ich irgendeinmal belohnt», fasst Gerber die Einstellung zusammen, mit der er sich von den Juniorenteams bis zur ersten Mannschaft hochgekämpft hat. Eishockey liegt Colin Gerber im Blut. Sein Vater Roland ist jahrelang Torhüter in der National Liga A, der höchsten Schweizer Eishockey Liga, unter anderem auch beim SC Bern, gewesen. Daher erstaunt es nicht, dass auch Colin von der Leidenschaft für Eishockey gepackt worden ist. Seinen Vater hat er leider nie im Stadion bewundern können, weil dieser acht Jahre vor seiner Geburt vom Spitzensport zurückgetreten ist. Nichtsdestotrotz ist er bereits als Kind oft mit der Familie in Bern Eishockeyspiele anschauen gegangen. Der Gedanke, einmal selbst vor so vielen Zuschauern in die Arena einzulaufen, hat ihn schon als Kind motiviert, hart zu trainieren, um irgendeinmal den Sprung zum Profi zu schaffen.

Colin Gerber beim Verteidigen (Foto: Bärnerbär)
Colin Gerber beim Verteidigen (Foto: Bärnerbär)
Colin Gerber spielt als Verteidiger in der ersten Mannschaft des SC Bern. Seine Leidenschaft fürs Eishockey hat, als er bei seinem Jugendclub EHC Burgdorf gespielt hat, begonnen. Mit 11 Jahren hat er erstmals Probetrainings beim SCB absolvieren dürfen und hat danach zu den SCB-Junioren gewechselt. Mit 17 hat er sich seinen Kindheitstraum erfüllt: In der NLA zu spielen. Der heute 24-Jährige hat 2017, mit nur 19 Jahren, einen Profi-Vertrag beim SCB unterschrieben. Colin Gerber ist mit seinen 191 cm und 94 kg eine wichtige Stütze der Mannschaft.

Der Druck als Profi

Die Stehränge im Stadion sind inzwischen dicht besetzt. Wir stehen dicht gedrängt zwischen den vielen Eishockeyfans und haben einen ausgezeichneten Blick aufs Spielfeld. Wer nicht frühzeitig im Stadion eintrifft, bekommt keinen Platz mehr auf der Tribüne. Schon während dem Aufwärmen der Spieler vor dem Spiel ist gut zu sehen, auf welche Kraft und Präzision die Profis zurückgreifen können.
Im ersten Spieldrittel sind die Berner den Amerikanern noch überlegen. Sie sind besser auf dem Spielfeld verteilt und mehrheitlich in Puck-Besitz. Bern drückt und in der elften Spielminute gelingt ihnen der erste Treffer. Nach einem Pass setzt der Stürmer Sven Bärtschi nach einer wundervollen Drehung den Puck für die Berner «backhand» ins Tor. Das Tor gegen die Favoriten aus der NHL wird von den Fans lautstark gefeiert. Doch Nashville bleibt nicht lange im Rückstand und kämpft sich zurück. In der achtzehnten Minute trifft Josi zum Ausgleich. Auch dieser Treffer wird von

«Wenn du das Gefühl hast, dass dir gerade siebzehntausend Menschen bei einer schlechten Aktion zuschauen, kann das schon zu Druck führen.» (Colin Gerber)

allen Zuschauern gefeiert. Bern lässt sich vom Gegentreffer jedoch nicht verunsichern und schiesst kurz vor Drittelsende das 2:1. Die Predators schalten im zweiten Drittel einen Gang hoch und setzen die Berner zunehmend unter Druck. Jetzt sind es die Amerikaner, die den Spielverlauf bestimmen. Mittlerweile haben sie sich auf dem, im Vergleich zur NHL, etwas grösseren Spielfeld der NLA zurechtgefunden. Die NHL Stars tanzen jetzt mit Leichtigkeit um die Berner Defensive herum und treffen die Berner gleich mit einem Doppelschlag. Doch die Fans sorgen weiterhin für Stimmung im Stadion: Die Berner Ultras singen wie immer ihre Fanlieder und feuern ihren Club an und wir singen lauthals mit. In solchen Situationen kann man sich auf dem Spielfeld als Spieler schnell mal Druck machen. Doch zurück zu Colin Gerber: er hat als etabliert Spieler beim SCB kaum mit Druck zu kämpfen. Als Junior hat er sich noch keinen Druck gemacht, immer seine beste Leistung abzurufen. „Ich habe einfach gespielt“, meint Colin Gerber auf die Frage, ob er bei seinen ersten Probetrainings beim SCB Druck verspürt habe. „Sich selbst Druck zu machen, das kam dann später“, fügt er hinzu. Jetzt als Profi ist die Situation für ihn ganz eine andere. Als er noch jünger gewesen ist, hat er Respekt oder fast Angst gehabt, einen Fehler während dem Match zu machen. Doch inzwischen hat Colin in diesem Bereich einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Immer versuchen, frei aufzuspielen, lautet seine Devise. Wenn einmal ein Fehler geschieht, nicht zu viel überlegen und weitermachen. Auch wenn das Gefühl, vor siebzehntausend Menschen eine schlechte Aktion zu haben, unschön sein kann. Die Zuschauer sind immer eine Motivation für Gerber und würden nicht etwa Leistungsdruck oder gar Angst hervorrufen. Zu Beginn seiner Profikarriere hat er sich keine mentale Belastung auferlegt. In seiner ersten Saison beim SCB ist er auf Anhieb Schweizer Meister geworden. Zu dieser Zeit hat er fast nur Positives erlebt und sich mit keinerlei Schwierigkeiten herumschlagen müssen. Die letzten drei Saisons sind für den SCB weniger erfolgreich verlaufen. Sobald es sportlich weniger gut läuft, muss sich die ganze Mannschaft auch mit schwierigeren Situationen befassen. Colin Gerber muss als erfahrener Spieler heute in der Mannschaft mehr Verantwortung übernehmen. „Meine Familie steht immer hinter mir“, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Zum Beispiel die Tipps seines Vaters, wie man mit positiven und negativen Erfahrungen umgehen kann, helfen ihm sehr. Aber auch seine noch älteren und damit erfahrenere Mitspieler stehen immer mit hilfreichen Tipps zur Seite. Mental starke Spieler liefern nämlich auch auf dem Feld bessere Leistungen ab. Gerber selbst schätzt sich glücklich, dass er noch nie mit mentalen Problemen zu kämpfen gehabt hat und wünscht sich, dass dies auch in Zukunft so bleibt.

Spielgeschehen im Match SCB gegen die Nashville Predators (Foto: Tim Theiler)
Spielgeschehen im Match SCB gegen die Nashville Predators (Foto: Tim Theiler)

Ziele und Träume

Sobald die Tore für Nashville im zweiten Drittel fallen, machen sich auch die Fans der Predators bemerkbar und uns fällt auf, wie massenhaft diese vertreten sind. Für uns, wie auch für viele andere Zuschauer, geht ein Traum in Erfüllung, ein Team aus der NHL hautnah spielen zu sehen und die besten Spieler der Welt zu bewundern. Auch Colin ist sich dieser Ehre bewusst, gegen die grössten Weltstars antreten zu dürfen. «Mein grösstes Ziel war es immer, in die NLA zu kommen», sagt uns Colin Gerber. Der gross gewachsene Spieler begnügt sich jedoch keineswegs mit seinem Erfolg. Er fokussiert sich darauf, jede Saison aufs Neue möglichst viele Spiele und Trophäen zu gewinnen. Zudem ist der Traum, eines Tages in der höchsten Liga der Welt, der NHL, zu spielen, noch nicht verflogen. Ihm ist bewusst, wie hoch die Anforderungen sind, dass dies zur Realität werden kann. Damit man die Chance bekommt, in die NHL zu wechseln, muss man zu den besten Spielern der Liga gehören und dennoch garantiert dies nicht, dass der Wechsel klappen und man in der NHL zu Spielzeit kommen würde. Colin betont mehrfach, dass der Sprung in die NHL eher ein Traum als ein Ziel für ihn darstelle. Seine Ziele bestehen eher darin, sich als Spieler weiterzuentwickeln und noch mehr Verantwortung beim SCB zu übernehmen.  

Alles auf eine Karte

Im letzten Drittel dominieren die Amerikaner das Spiel und lassen Bern zu keinen weiteren Torchancen kommen. In der 46. Spielminute glänzt Roman Josi mit seinem zweiten Treffer des Abends und markiert damit das 4:2 für Nashville. Das Publikum feiert Josis Tor frenetisch. Die Spieler des SCB sind jetzt besonders gefordert. Nach dem erneuten Gegentreffer müssten die Berner zwei Tore erzielen, um das Spiel noch ausgleichen zu können. Der SCB muss die schwierige Entscheidung treffen, den Torhüter aus dem Spiel zu nehmen, um mit sechs Feldspielern in den letzten Minuten

«Die Entscheidung, mich voll aufs Hockey zu konzentrieren, fiel mir gar nicht schwer. Ich habe den Fokus immer daraufgelegt, Profi zu werden. Zudem hat es mir jeden Tag Spass gemacht.» (Colin Gerber)

auf das gegnerische Tor anzugreifen. Die Spannung im Stadion steigt und die Berner Fans hoffen auf den Ausgleich. Bei jeder Gelegenheit treiben die Spieler des SCB den Puck mutig durch die Defensive der Predators in Richtung Tor. Auch Colin muss jetzt im Spiel blitzschnell Entscheidungen treffen. Auch abseits des Spielfelds musste Colin bereits eine wichtige Entscheidung treffen: sich vollkommen auf den Sport konzentrieren oder doch besser eine Berufslehre absolvieren? Alles auf den Sport gesetzt hat Gerber jedoch nie. Bereits in der siebten Klasse hat er auf eine Sportschule in Bern gewechselt. Erst nach Abschluss der Schule ist bei ihm erstmals die Frage aufgekommen, wie seine Zukunft aussehen soll. Die Option, sich ganz aufs Eishockey zu konzentrieren, ist natürlich bereits vorhanden gewesen. Schliesslich hat er den Entschluss gefällt, eine Lehre zu machen und «nur» nebenbei Eishockey zu spielen. Nach dem Lehrabschluss ist Colin neben dem zeitlich und körperlich intensiven Programm als Hockeyspieler trotzdem weiterhin verschiedenen Teilzeitjobs nachgegangen. Vollprofi ist er erst seit zwei Jahren. Obwohl Colin sich erst spät zu diesem Schritt entschieden hat, ist er immer entschlossen gewesen, irgendeinmal alles auf die Karte Eishockey zu setzen. „Die Entscheidung, mich voll aufs Hockey zu konzentrieren, fiel mir gar nicht schwer. Ich habe den Fokus immer darauf gelegt, Profi zu werden.  Bis heute macht mir jeder Tag auf dem Eisfeld grossen Spass”, erzählt Gerber. Auch im Spiel zahlt es sich für die Berner aus, alles auf eine Karte zu setzen. Wenige Sekunden vor Schluss gelingt dem Berner Stürmer Chris DiDomenico den Anschlusstreffer zum 3:4. Das Spiel wird kurz darauf leider abgepfiffen und die Zeit hat den Berner nicht mehr ausgereicht, die Partie auszugleichen.

Stimmung nach dem Abpfiff (Foto: Tim Theiler)
Stimmung nach dem Abpfiff (Foto: Tim Theiler)

Die beiden Teams haben den Zuschauern während fast 3 Stunden wunderschönes Eishockey und viel Fair Play geboten. 17’031 Fans sind begeistert von diesem einmaligen Eishockeyfest. Die Berner Ultras stimmen ein letztes Mal ihre Fanlieder an und die Zuschauer verabschieden beide Teams unter tosendem Applaus. Auch für Colin Gerber ist es ein unvergesslicher Abend gewesen. „Ich habe einfach versucht, so viel wie möglich aufzusaugen, Freude am Spiel zu haben und die Atmosphäre zu geniessen”, sagt der sympathische Berner Spieler bescheiden.